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VOGELSPRACHEN: SHIJUKARA



Seit vier Jahren beschäftige ich mich mit der Verbindung zwischen Musik und Sprache. Dabei begebe ich mich auf der Suche nach Merkmalen, die dem gemeinsamen Ursprung dieser zwei Arten von Kommunikation gehören. Ein für mich spannender Ansatzpunkt ist, Sprachen und Musik auf ihre grundlegenden Elemente zu reduzieren und diese zu beobachten. Die Interaktion von Tieren, die eine natürliche Begabung für Kommunikation entwickelt haben, ermöglicht eine direkte Betrachtung von beiden Systemen und zeigt uns wie ähnlich sie auf ihrer elementaren Ebene sind. Zu dieser Gruppe gehören überwiegend alle Singvögeln: Sie sind von Menschen als sehr musikalische Tiere wahrgenommen und können dazu erstaunlich komplexe und deutliche Interaktionen erschaffen. Manche Arten haben sogar, wie in folgend beschriebenem Fall, Kommunikationssysteme entwickelt, die Ähnlichkeiten zu einer Syntax haben.
Die Idee dieses Projektes entstand als ich auf die einzigartige Geschichte des Amazonischen Vogels Uirapuru(4) stieß, dessen Vokalisierungen so komplex und artikuliert sind, dass sie als von Mensch komponierte Musik klingen. Infolgedessen habe ich angefangen, Aufnahmen von bedeutenden Gesängen, die auf dem internationalen Database xeno-canto.org verfügbar sind, musikalisch selber zu analysieren, mit besonderem Interesse auf Gesänge mit höher Menge an Komponenten wie Tonfolgen, wiederkehrende Rhythmen, klare Sequenzen. Ausgangspunkt für diese Arbeit ist die Suche nach Verhältnisse zwischen den verschiedenen Komponenten der Vokalisierung gewesen, zum Beispiel Fälle, wo eine besondere Stimmfarbe (oder Formen des Gesangs) nur bei spezifischen Intervallen entsteht, oder wo es eine bestimmte Proportion zwischen langen und kurzen Töne gibt.

In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Recherchen über das Thema “nichtmenschliche Kommunikation” betrieben und durch intelligente Experimente sind wichtige Fortschritte erzielt worden. Durch Lesungen von verschiedenen Forschungsartikeln habe ich bemerkt, dass selten haben Naturwissenschaftler in ihren Forschungen musikalische Aspekte berücksichtigt und ebenso Musikexperte involviert. Anderseits haben wenige Musiker das Potenzial dieses Thema für ihre Kunst vollständig ausgenutzt. Der Vogelgesang hat ja viele Komponisten fasziniert, darunter auch berühmte Figuren wie Olivier Messiaen, John Cage und Heitor Villa-Lobos, es blieb aber hauptsächlich in ihren Kompositionen nur als Zitat oder Inspirationsquelle für musikalischen Ideen (motivisch, rhythmisch, klangfarblich, etc.).

Die Japanmeise (wissenschaftlicher Name: Parus Minor) ist ein kleiner Singvogel, der nordöstliches Asien und besonders Japan besiedelt. Dank Forschungsstudien vom Ethologisten Toshitaka N. Suzuki(1) machte der Parus Minor Schlagzeilen für seine Vielfalt an Lautrufe und außergewöhnliche Kommunikationsfähigkeit. Laut Herrn Dr. Suzuki und seinen Partnern, können Japanmeisen komplexe Botschaften aussenden (und verstehen) mittels der Zusammenstellung von verschiedenen bestehenden Tonfolgen. Während jeder einzelnen Tonfolge (oder, in diesem Fall, Wort) hat eine besondere Bedeutung, die Kombination von mehreren Wörtern trägt eine neue, komplexere Botschaft. Überdies können solche Botschaften ganz genaue Eindrücke evozieren: Zum Beispiel, bei Schlangen-Alarmrufe entsteht im Kopf aller zuhörenden Japanmeisen das mentale Bild einer Schlange. Die Japanmeise ist die erste Tierart, bei der solch eine starke Affinität mit unserer Kommunikation bewiesen wurde.

Not- Warn- und Alarmrufe sind wohl ein guter Vergleichspunkt zwischen Musik und Kommunikation. Bei Menschen, sind solche Notrufe fast immer sehr laut, plötzlich und unkontrolliert; auch in der Musik sind sie, aus einer dramaturgischen Perspektive, als drastische Geste oder Klimax einzusehen. Im Gegensatz sind Notrufe bei manchen Vögeln sehr leise und auf hohen Frequenzen, damit sie von Raubtieren nicht wahrgenommen werden können. Dazu werden Vögel durch spezifische Tonsequenzen kommunizieren, damit ihre Artgenossen sofort reagieren können. Der Fokus meiner Recherche liegt nur auf die Form und die Strukturen, die solche Interaktionen unterliegen; die akustisch-melodische Komponente des Vogelgesangs spielt dabei keine wichtige Rolle. Das Konzept dieses Projektes ist ,neue Systeme für die Komposition neuer Musik, abgesehen vom Stil und Genre, zu entwickeln, in denen die strukturellen Eigenheiten des Vogelgesangs das grundlegende Element aller kreativen Prozesse sind. 

Unter kreativen Prozessen bezeichne ich nicht nur wie das Tonmaterial (Tonhöhe, Rhythmus, usw.) organisiert wird, sondern auch wie die Musik grundsätzlich gestaltet und strukturiert wird.

Laute und Rufe werden zwar nicht als Zitat oder melodischen Einfall in meiner Musik erscheinen. Während meiner Recherche in Japan habe ich zusammen mit Herrn Suzuki Japanmeise beobachtet und mit akustischem Input kleine Experimente führen können. Dabei habe ich von neuen Aspekten dieser Interaktion erfahren, die in der Demonstrationsphase sind und noch nicht bekannt gegeben wurden. Eine weitere wichtige Erfahrung ist die Verbindung mit dem Forschungszentrum Evolinguistics. Evolinguistics ist eine multidisziplinäre Initiative der Universität von Tokyo, die durch Symposien die Arbeit von Akademikern aus verschiedenen Bereichen zusammenbringt, um Fragen über das evolutionäre Aspekt der Sprachentwicklung zu befassen. Dabei diskutierte Themen sind z. B. Sprachtheorien (Theorie der formalen Sprachen, Kontextfreie Grammatik usw.(2)) oder Themen aus der Kognitionswissenschaften (Theory of mind(3)) bis zur Anatomie der Verbindung zwischen Gehirn und das periphere System.

(1) Call combinations in birds and the evolution of compositional syntax. Suzuki TN, Wheatcroft D, Griesser M (2018) PLoS Biol 16(8): e2006532.

(2) The evolution of the language faculty: clarifications and implications, W. Tecumseh Fitch, Marc D. Hauser & Noam Chomsky

(3) Developmental cognitive neuroscience of Theory of Mind. Neural Circuit Development and Function in the Brain: Comprehensive Developmental Gweon, H., Saxe, R. (2013)

(4) O Canto do Uirapuru: Consonant intervals and patterns in the song of the musician wrenDoolittle, E., & Brumm, H. 2013